Ohne Titel, 1989
Christoph Rütimanns grossformatige Tuschezeichnung Ohne Titel (1989) erweckt den Anschein von Bewegung und Bewegtheit. Die Linien - Striche, Bögen, die teils wie zufällig gekritzelt, teils absichtlich und präzis gesetzt scheinen - formieren sich zu einem dynamischen Feld oder einer bewegten Struktur. Die ausserordentliche Dimension der Zeichnung lässt den Betrachter nicht einfach rasch das Bildfeld, das durch die Ränder des Papiers begrenzt werden, überblicken. Vielmehr führen die Grössenverhältnisse gewissermassen buchstäblich vor Augen, wie sehr gerade das Zeichnen eine für den Künstler durchaus physisch zu vollziehende Praxis darstellt, die Bewegung also als das konstituierende Element der Zeichnung gelten muss. Ist es in der traditionellen, eher kleinformatigen (Hand-)Zeichnung bloss der Arm und die Hand des Künstlers, die aktiviert werden, so nähert sich das Verfahren in diesen grossformatigen Papierarbeiten jenem von bisweilen strapaziösen, von erheblichem körperlichem Einsatz geprägten Performances an, die ebenso wie das Zeichnen Christoph Rütimanns Schaffen wesentlich ausmachen.
Die vorliegende Arbeit hat der Künstler in der ihm eigenen Weise durch sich wiederholende, aber auch voneinander abweichende, also singuläre Elemente strukturiert. Die mehrfache Variation eines Strichs oder einer Linie generiert rhythmische Gliederung, die einen das Gezeichnete als eine musikalischer Notation oder Komposition ähnelnde Struktur wahrnehmen lässt. Der Ausdruck „Notation" scheint für das hier Vorliegende besonders zuzutreffen, steht er doch nicht allein für die Form musikalischer Niederschrift, sondern darüber hinaus für die Verwendung von Zeichen in der Mathematik, für das Registrieren von Zügen im Schachspiel sowie für das Skript für Bewegungen des Körpers im Raum im Bereich des Tanzes und der Tanztheorie.
Über die hierdurch eröffneten Bedeutungsfelder lassen sich diverse Charakteristika der Arbeit Christoph Rütimanns erschliessen. Sowohl Gesetzmässigkeit wie auch Zufall und Chaos spielen im Schaffen des Künstlers eine zentrale Rolle; vielfach entwickelt sich in oder an einem Werk dieser Spannungsbogen der beiden konträren „Erscheinungsformen" (Christoph Rütimann). Wissenschaftliche Fragestellungen und messbare Verhältnisse treiben den Künstler augenscheinlich ebenso um wie ungefähre, assoziative oder prekäre Sachverhalte und Beziehungen zwischen den Dingen. Mit der Hinwendung zum (über-)grossen Format löst er die Zeichnung von traditionellen Sinnbezügen wie jenen der Intimität und der Handschriftlichkeit im engeren Sinne. Das Format von nahezu vier Metern Länge bedarf der grossen, teils heftig-unkontrollierten Geste, des Körpereinsatzes - sowohl jenes des Schöpfers wie auch des Betrachters.
IF