Buffet, 1995

Buffet, 1995, Thomas  Hirschhorn

Wie Hirschhorn in den Erläuterungen zu seinem Biennale-Auftritt im Schweizer Pavillon darlegt (2011), stellt er seine Arbeit in ein Kraftfeld von LIEBE, PHILOSOPHIE, POLITIK, ÄSTHETIK, wobei LIEBE und PHILOSOPHIE zu den lichten Teilen gehören, POLITIK und ÄSTHETIK zu den Schattenseiten. Beide Seiten machen das Form- und Kraftfeld dieser Existenz aus. So gesehen setzt sich Hirschhorn mit einer universellen Energie auseinander, fordert Widerstand, stellt Fragen nach dem Agieren, dem Erleben, der Arbeit und der entsprechend notwendigen Formgebung.

Das frühe, kleine Buffet von Hirschhorn, das für den Kunstraum von Strauss & Adamopoulos in Frankfurt/Main 1995 geschaffen wurde, besteht aus einem mit Alufolie eingepackten Tisch, auf dem sich mehrere Etagen türmen. Deren Wänden entlang finden sich eine Vielzahl von Collagen (ausgeschnittene Fotos aus Illustrierten und Zeitungen) auf Wellkarton, die teilweise in Plastikfolie gepackt sind. Die 236 unterschiedlich grossen Collagen sind Teil der Serie „Danke, Thank you, Merci". Sie erinnern an die schäbigen, elementar erstellten Schildchen von Bettlern bei ihrer Bitte um eine milde Gabe, das Danke bereits miteinbezogen, und sind als Weiterführung seiner frühen Pappkartonbeschriftungen zu sehen, auf welchen zu Hunderten „SVP, j'ai faim" geschrieben ist. Die ausgeschnittenen und aufgeklebten Darstellungen auf den Schildchen des Buffets stehen in krassem Gegensatz zum poveren Ambiente, das das Prekäre von zeitgenössischen Existenzen evoziert. So stellen die kleinen, doch schäbigen Collagen mehrheitlich schöne, gesicherte und berühmte Menschen der Gegenwart dar, die es durch ihr Äusseres oder ihren Status zu einer gewissen Publizität, ja Berühmtheit gebracht haben. Nicht selten finden sich auch Werbeseiten berühmter Marken mit makellosen Frauenantlitzen. Zu ihnen gesellen sich Parfüms, Lippenstifte und andere Schönheitsprodukte, aber auch Statistiken, Tabellen und weitere Einblicke in das Leben von Alltag und Besonderheiten, die von der Zeitung weitervermittelt werden.

Hirschhorns fundamentale Abneigung und Kritik der Ikonisierung und Idealisierung und somit auch Manipulation von Bildern bestimmt auch im Buffet dessen Grundstruktur: hier steht nicht ein ausgewähltes Bild oder stehen nicht wenige besondere Bilder im Vordergrund, sondern gleich eine Vielzahl (und in späteren Werken zusehends eine Unmenge) von Bildern zum visuellen Genuss oder Überdruss bereit, alle geprägt von einer besonderen, doch wohlbekannten Idealisierung. Dazu schreibt Marc Fehlmann: „Der Betrachter ist vor den meist exzessiven Arbeiten von Thomas Hirschhorn allein gelassen, die Überfülle und scheinbare Willkür der Materialanhäufungen nerven und lösen einen inneren Widerstand aus, denn sie erlauben auf den ersten Blick kaum eine vernünftige Lektüre." (Ausst.-Kat. Eiszeit, 2000). Die Bilderflut, das Zuviel von Elementen und Überborden von Einzelteilen soll überwältigen. Dabei ist es nicht wichtig, alles zu sehen oder zu viel Zeit in den Einzelheiten zu verbringen. Auch soll dem Besucher nicht ermöglicht werden, zurückzutreten, um sich einen Überblick zu verschaffen und Distanz zu ermöglichen. Irritieren soll zugleich auch das handschriftlich dahingekritzelte devote „Danke", das sich zu den unpersönlichen Ikonen und Analysen unserer Gesellschaft gesellt hat und somit einem unbeachteten Teil der Menschheit, der ebenso zur Gesellschaft gehört, kein Bild respektive ein falsches Bild zugehörig macht.

15 zitronengelbe Baumwolltücher komplettieren die Verkleidung des neutralen Ausstellungscube zu einer Installation respektive einem Environment. Die Tücher hängen in der Form eines U relativ nahe des Buffets (etwa 120 cm) an den Wänden oder Stellwänden rund um den Tisch. Sie nehmen die ganze Höhe des eng bemessenen Raumes ein. Beleuchtet von hellem Neonlicht, befindet sich das Buffet in einer Atmosphäre des billig Provisorischen. Dazu nochmals Marc Fehlmann aus derselben Quelle: „Hirschhorns Buffet ist ein Glanzstück in seinem Oeuvre, denn es brilliert nicht nur durch das flimmernde Stanniol und die ästhetische, geordnete Qualität, sondern besticht auch durch die monumentale Aufmachung. So schafft der Künstler eine Verbindung vom bürgerlichen Möbel par excellence - dem Buffet - zur bürgerlichen Bildungsinstitution „Museum" und bricht das traditionelle und damit bürgerliche Kunstverständnis durch die Wahl seiner Materialien und deren Verarbeitung." Letztendlich stellt Hirschhorn mit seinem Buffet - der Gestaltung, den ausgewählten Materialien und seinen Inhalten -Fragen über die Realität, in der wir leben, und zwar bar jeder Ironie. „Denn da ist ein Ernst im Spiel, dass man sich den Witz besser sparen sollte, um damit in der ganzen Unübersichtlichkeit eigene Perspektiven zu entwickeln." (Max Wechsler, in Ausst.-Kat. Bern, Kunsthalle, Swiss Army Knife, 1998)

Nachfolgend zu dieser Arbeit entwickelt Hirschhorn für Fri-Art Fribourg Le très grand Buffet (1995), wo dieselbe Thematik der Serie „Merci, Danke, Thank You" im Sinne von Hirschhorn in ausufernder Weise thematisiert wird. Im folgenden Jahr erschafft Hirschhorn für das Kunstmuseum Luzern, im damaligen Zwischen Raum, eine umfassende Installation, genannt Tränentisch. Der dazugehörige Katalog - eine Art Zeitschrift - widmet sich in einer 1. Auflage der Berliner Ausstellung 1995 (Künstlerhaus Bethanien), in der 2. Auflage der Freiburger Ausstellung und in der 3. Auflage der Luzerner Ausstellung.

 

EMJ

 

Künstler
Thomas Hirschhorn
Gattung
Installation
Material
"236 Arbeiten aus der Serie 'Danke, Thank you, Merci', Kugelschreiber, Zeitungsausschnitte und Collagen auf Wellkarton, teils mit Plastikfolie umwickelt und rückseitig mit Klebeband befestigt; 15 gelbe Leinentücher"
Masse
ca. 230 x 600 x 200 cm
Standort
provisorisch Vordepot Ittigen
Inventarnummer
Pl 03.015
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute 2003
Provenienz
Das Buffet wurde im Jahr 2000 im Rahmen der Ausstellung Eiszeit im Kunstmuseum Bern präsentiert.

Ankauf 1997 bei der Galerie Susanna Kulli, dazumal in St. Gallen

Ausstellungsgeschichte

Literatur

Weitere Infos

Eine unlimitierte Edition mit der Darstellung des Buffets ist im Kunstmuseum Luzern zu erwerben.

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