Voyages apocalyptiques (Nr. 49), 2001-2004

Voyages apocalyptiques (Nr. 49), 2001, Christoph Draeger

Seit den frühen 1990er Jahren beschäftigt sich Christoph Draeger thematisch mit Katastrophen und deren Übermittlung durch die Massenmedien. Neben Rekonstruktionen von Katastrophen im Atelier entsteht beim Künstler das dringende Bedürfnis, sich mit der realen Welt zu befassen. So fängt er an, den in den Medien übermittelten Katastrophenschauplätzen nachzureisen, zu einem Zeitpunkt, als sich, Jahre nach der jeweiligen Katastrophe, bereits der Schleier des Vergessens über sie gelegt hat. Die daraus hervorgegangene, 1994 begonnene und heute 76-teilige, immer noch weiter geführte Fotoserie mit dem Titel Voyages Apocalyptiques zeigt unspektakuläre Ansichten von auf den ersten Blick unspektakulären Orten, Landschaften, Städten, Häusern. Die Bilder zeugen von einem distanzierten, touristischen Blick, der einer unspektakulären Ansicht, wenn überhaupt, gerade noch einige Postkarten-Qualitäten entlockt. Der Schein trügt jedoch, denn das wirkliche Grauen ist nicht darstellbar. Es sind die Bildunterschriften, die uns die Apokalypsen - die vergangenen Katastrophen - in Erinnerung rufen: Lockerbie, Schweizerhalle, World Trade Center, Manhattan, Pompeji, Hiroshima... . Katastrophen oder Apokalypsen, die sich immer wieder irgendwo auf der Welt in partieller Art ereignen und nach einigen Jahren rein äusserlich in die Normalität münden.

Durch die physische Begehung dieser Orte des Schocks, der Panik und der Trauer zu einem Zeitpunkt, zu dem der Alltag längst wieder die Oberhand gewonnen hat, schafft Draeger Bilder von Katastrophen-Schauplätzen, die ein verlängertes Hinsehen, ein Nachwirken und einen erneuten Blick darauf ermöglichen. Ob es sich bei den Katastrophen um Erdbeben, Flugzeugabstürze, Amokläufe oder Unwetter handelt, ist für Draegers Arbeit nicht relevant.

Ihm scheint es vielmehr darum zu gehen, ein Archiv des Unheils anzulegen, das ohne Wertung den geschehenen Tragödien ihren Wahrnehmungs-Raum zurückgibt, den sie durch die Massenmediatisierung verloren haben. Dieser Anspruch wird dann am deutlichsten, wenn die Bilder als Serie ausgestellt sind, als welche sie auch konzipiert wurden. Die immer grösser werdende Bilderflut in den Medien hat paradoxerweise nicht ein vertieftes Wissen über die mediatisierten Themen zur Folge, sondern im Gegenteil, sie begünstigt vielmehr eine Art historischer Amnesie beim Medienkonsumenten.

Draegers Voyages Apocalyptiques konfrontieren uns mit existenziellen Ängsten und sind gleichzeitig Anregung für ein aktiveres und bewussteres Verhältnis zu Medienbildern.

 

 

 

KFR

 

 

 

Künstler
Christoph Draeger
Gattung
Fotografie
Material
Farbfotografie
Masse
20,0 x 30,0 cm
Standort
Depot
Inventarnummer
F 2004.115
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute, 2003
Provenienz
Ankauf 1997 und 2000 beim Künstler
Ausstellungsgeschichte

Literatur

Weitere Infos

9/11:  8 Jahre nach dem ersten Terroranschlag auf die Twin Towers (siehe voyages apocalyptiques Nr. 1) ereignen sich vier koordinierte Flugzeugentführungen mit anschliessenden Selbstmordattentaten auf gewichtige zivile und militärische Gebäude. Zwei davon werden auf die Türme des World Trade Centers gelenkt, die zum Einsturz gebracht werden. Darauf verweist die Nr. 49 der voyages apocalyptiques.