Leben & Werk John M Armleder

John M Armleder
* 1948 in Genf
John Armleder lebt und arbeitet in seiner Heimatstadt Genf

 John Armleder wird in eine noble Genfer Hotelierfamilie hineingeboren. Er hat seine künstlerische Ausbildung an der École des Beaux-Arts in Genf (1966-67) und an der Glamorgan Summer School in Wales (1969) absolviert.

Seine Beteiligung an den zeitgenössischen musikalischen Aktivitäten innerhalb der Gruppen „Luc Bois" und  „Max Bolli" (seit 1963) bringt ihn dazu, im calvinistischen Genf, einer Stadt, die dazumal der zeitgenössischen Kultur gegenüber verschlossen war, eine eigene, dem Fluxus verpflichtete Gemeinschaft zu gründen: Die „Groupe Ecart". Sie wird 1969, gemeinsam mit den Künstlerfreunden Patrick Lucchini und Claude Rychner ins Leben gerufen und ab 1973 mit einem Verlag, einer Buchhandlung und einer Galerie erweitert („Ecart" existiert in Genf bis 1980, ab 1978 ist die „Galerie Ecart" an der ART Basel bis heute präsent). Gemeinsam produzieren die Gruppenmitglieder zahlreiche Filme (Super-8) und sind in den performativen Künsten aktiv. Die Galerie wird in den folgenden Jahren zu einem der bedeutendsten alternativen Zentren der Avantgarde in Europa. Hier verkehren nicht nur international renommierte Künstler wie Andy Warhol, John Cage oder Joseph Beuys, sondern ebenso Kunstschaffende aus der Region und dem Schweizer Umfeld, unter anderem Olivier Mosset. Ziel der Gruppe und Aktivitäten „Ecarts" ist es, dem damaligen Zeitgeist entsprechend eine ästhetische und inhaltliche Grenzüberschreitung in den Künsten und Gattungen zu ermöglichen, Kunst & Leben miteinander zu verbinden sowie, für „Ecart" spezifisch, in allen Phasen der künstlerischen Produktion präsent zu sein: von der Kreation zur Produktion, Präsentation bis hin zum Vertrieb.

Bereits in den 1970er Jahren darf John M Armleder bedeutende Preise in der Schweizer Kulturförderung entgegennehmen (Kiefer Hablitzel, Eidgenössisches Bundesstipendium). Ende der 70er Jahre entfernt sich Armleder immer mehr von der performativen und poveren Arbeitsweise des Fluxus und beginnt konstruierte Bilder zu schaffen, die an Minimal Art oder an die abstrakt-geometrische Kunst der klassischen Moderne gemahnen und (nach Auffassung Armleders zu Unrecht) mit der Stilbezeichnung Neo Geo versehen werden.

Diese konstruktiven Konzepte werden ihrem angestammten Milieu entzogen und gerinnen zu postmodernen Zitaten, die zugleich an die gescheiterten künstlerischen und gesellschaftlichen Utopien der damaligen Zeit erinnern. Zusehends erlaubt sich der Künstler, das Formenvokabular aus der Welt der Kunst oder die Anleihen in der Kunst weiter zu dekonstruieren, Teile der geometrischen Formensprache zu isolieren oder diesem formal ähnliche oder irritierende Elemente (Lochplatten, alte Möbelstücke u.a.m.) beizufügen, um dabei die traditionellen Vorstellungen von idealer Ordnung zu zerstören. Diese Vorgehensweise, in einer Zeit der Rückkehr impulsiver figurativer Malerei und Zeichnung (Neue Wilde, Neoexpressionismus, Transavanguardia), wird in den 1980er Jahren in den Aufsehen erregenden klein- oder grossformatigen Furniture Sculptures weiterentwickelt. Diese oszillieren als autonome Werke zwischen Tafelbild und Installation und stellen mit einer guten Portion dadaistischem Schalk die Bedeutung und Ausstrahlung eines Werks (seiner Käufer und seines gesellschaftlichen Umfelds), und folgerichtig auch des Ready-made, zur Diskussion. Furniture Sculptures führt Armleder, in der Zwischenzeit zu einem der einflussreichsten Künstler der internationalen Szene avanciert, bis in die heutige Zeit weiter, wobei diese installativen Werke, trotz Irritation, von beruhigender Eleganz gezeichnet sind. Armleder nimmt sich die Freiheit, den environmentalen Bereich eines autonomen Bildes, das Umfeld eines Werks, zu einem integralen Bestandteil zu machen. Dabei fügt er dem Tafelbild abstrakter Provenienz zumeist formal passende, oft aber auch inhaltlich irritierende Objekte hinzu (wie teilweise bemalte Musik- und Schlaginstrumente, Autoversatzstücke, Surfbretter, Ketten oder Leuchtröhren) oder dramatisiert den symbolhaften Auftritt im Raum mit präzise ausgewählten, teilweise bemalten Möbelstücken, die von der Aura vergangener Zeiten oder vom Pathos einer bestimmten Gegenwart gezeichnet sind. Seine Werke schafft Armleder selten in einem Atelier. Vielmehr dient ihm der Ausstellungsraum eine oder mehrere Wochen im vornherein als Atelier, wo er, mit Hilfe der umgebenden Möglichkeiten und Bedingungen und einer zuständigen Fachperson, die Werke mehrheitlich vor Ort kreiert. Die entstandenen Installationen führen zu einer anderen Leseart und einem neuen Verständnis eines Werks im domestischen, aber auch institutionellen Raum. Die Kunst charmiert auch in diesem Kontext mit dem Leben, wobei mit sanfter Ironie auf überkommene Wertvorstellungen von Sinn und Bedeutung eines Werks verwiesen wird. Der Begriff Appropriation darf bei Armleder in vorbildlicher Weise verwendet werden, sind doch seine Strategien von einem profunden Wissen über die Geschichte und Bedeutung von Werken und Objekten in High & Low gezeichnet, die er in seinen Neugestaltungen in einer überraschenden Durchmischung mit formalen wie auch inhaltlichen Bezügen präsentiert. So inszeniert er, von einer distanzierten, eklektischen Position ausgehend, vornehmlich bereits bekannte Bild- und Raumelemente zu einem neuen Ganzen, um dadurch Fragen zum Status eines Kunstwerks durch Wahrnehmung, Umfeld und Rezeption zu stellen und die erprobten Strategien stetig zu erweitern.

Schliesslich kreist Armleders Wirken um die Frage, was Moderne und deren Inhalte einst bedeuteten und heute noch darstellen, was Kunst ist, was Kunst kann und was der Kunst erlaubt ist zu tun. Mit seinen vielfältigen assoziativen Strategien und Verweisen auf die Geschichte der Kunst und des Designs und seinen Anleihen aus dem Bilderschatz des Lebens führt Armleder das Erbe von Dada und Fluxus bis in die heutigen Tage weiter, geprägt von der Überzeugung, dass alles in der einen oder anderen Form schon einmal existiert hat. Es ist ein Werk, das aus dem Kontext der gesellschaftlichen Situation entstanden ist, doch keinen Kommentar über diese gesellschaftliche Situation anbringt, sondern in einem bestimmten Kontext zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet und somit weiter diskutiert werden kann. In seinem breit gefächerten Oeuvre, das er selber als „Supermarkt" bezeichnet, schafft er, neben einer Vielzahl von Zeichnungen, Grafiken und Malereien, seit Mitte der 90er Jahre raumgreifende Environments - inszeniert Licht- und Spiegelinstallationen, arrangiert Fernseher mit laufenden Filmen, ausgestopfte Tiere, Pflanzengestecke und Weihnachtsbäume,  dynamisiert (bemalt, möbiliert, tapeziert, dekoriert und drapiert) effektvoll Räume und entwickelt die Arbeit an der Skulptur oder am Objekt in eleganter und zugleich subjektiv geprägter Manier weiter. Wie üblich vernachlässigt er keineswegs die Reminiszenzen an die Historie im High & Low und proklamiert zugleich, dass es sich, trotz eindeutiger Gegenständlichkeit und Anleihen an die Welt der Symbole, lediglich um abstrakte Gebilde oder Dekor handelt, die nichts bedeuten wollen - doch warum nicht zu einer anderen Zeit etwas anderes bedeuten können: „Das Banale und das Einzigartige, das Sinnlose und das Vitale in einem Bedeutungsrahmen" (J.A.). Armleders nicht selten auf den ersten Blick absurd anmutenden oder halsbrecherischen Strategien erinnern an ein Spiel, bei welchem die Kunst (und deren Protagonisten) aufgebaut und inszeniert und wieder demontiert wird. Die Ausstellung dient ihm und dem Betrachter als Instrument zur  Wahrnehmung. In diesem Zusammenhang sei ebenso seine Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Sylvie Fleury (von 1989-2004) erwähnt, die mit ihrem Werk scheinbar aus dem Nichts heraus nach wenigen Jahren zum internationalen Star avanciert. Mit seinem Werk und seiner kontinuierlichen Lehrtätigkeit und Vermittlungsarbeit (seit 1995 Professor an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braunschweig, Lehrtätigkeit an der ECAL Lausanne) hat der stets elegant gekleidete und zuvorkommende Armleder, der seit Jahrzehnten durch seinen Auftritt beeindruckt, Generationen von Kunstschaffenden motiviert und beeinflusst.

 

Armleder repräsentiert die Schweiz 1986 an der Biennale von Venedig. 1987 wird er an die documenta 8 in Kassel eingeladen, 1992 an die Weltausstellung in Sevilla. Als Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission (1992-2000) bestimmt er wesentlich die Schweizer Nachwuchsförderung und die Auswahl der offiziellen Repräsentanten der Schweizer Kunst im Ausland mit. 2011 wird er mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet.

Seine Werke sind in renommierten nationalen und internationalen Sammlungen zu finden.


Esther Maria Jungo

 

 

 

Werke sortiert nach Titel ↑JahrGattung

Bild Informationen Beschreibung

John M Armleder

Ohne Titel

1984

Lack auf Leinwand

Masse 298,5 x 199 x 4 cm

Malerei

Die formal restriktive Vorgabe des Punktrasters ist ein Themenbereich, mit dem John Armleder in den 1980er Jahren in verschiedensten Variationen experimentiert hat. Bei dieser formalen Beschränkung, wo die  Punkte in gleichmässigem Abstand voneinander in parallel oder versetzt laufenden Kolonnen auf rechteckigen Trägern meist grossen Formats symmetrisch angeordnet sind,... [ Weiter ]

John M Armleder

Philosophie, U 50

1993

Mischtechnik auf Leinwand

Masse 430 x 300 cm

Malerei

Eine malerische Entwicklung, die bei Armleder auf den ersten Blick erstaunt, sind seine expressiv und zugleich lyrisch oder dekorativ anmutenden, grossformatigen Gemälde aus den Jahren 2006/2008, die er zeitgleich neben den Neo-Geo-Malereien, respektive Punktebildern, erstellt. Er nennt sie Giessbilder, die grosse Offenheit und Flexibilität während des Schaffensprozesses... [ Weiter ]